Die Tage des Osterfestes, die mit Gründonnerstag beginnen, laden Sie und mich ein, uns auf den Weg zu machen. Dieser Weg führt uns zu wesentlichen Erfahrungen des Lebens. Jahr für Jahr von Neuem werden wir Christenmenschen in dieser Zeit angeregt, grundlegende Einsichten zu bedenken und nachzuvollziehen.
An Gründonnerstag geht es um das, was wir Menschen brauchen, wenn wir uns auf den Weg machen. „Schmecket und sehet, wie freundlich Gott ist“. Die Einladung zum Abendmahl weist die Richtung. In diesem Mahl, das unser Herr Jesus Christus eingesetzt hat, erleben wir, Gott sorgt für uns. Nicht nur geistige, sondern auch leibliche Nahrung hat er zu bieten.
Als Schöpfer, „der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt“ (Nicaenum, vgl. EG 805), schuf Gott auch Ihr und mein Leben. Durch Brot und Trank erhält er Sie und mich. Zugleich sorgt er für uns, indem er uns Gemeinschaft mit anderen Menschen schenkt. Zusammen feierten schon die Jünger das Abendmahl mit ihrem Herrn und Meister. Bis heute spüren wir, wenn wir feiern, wie gut uns das Zusammensein mit anderen und die Gemeinschaft mit unserem Erlöser Jesus Christus tun. Den Gründonnerstag begehen christliche Gemeinden und Kirchen in der ganzen Welt. Auch Sie und ich gehören dazu. Weltweit sind wir über die Grenzen von Konfessionen und Nationen miteinander verbunden. Im Gebet bedenken und tragen wir andere, so wie wir auch von unseren Geschwistern bedacht und getragen werden.
Vom Abendmahl aus gehen wir in die Nacht der Anfechtung. Jesus Christus, „wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“ (Nicaenum), wird von den Evangelisten betend dargestellt: „Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst“ (Matthäus 26,39). Gott, der Sohn, willigt hier in das ein, was Gott, der Vater, ihm vorherbestimmt hat. Die Erinnerung an diese Einwilligung stärkt uns bis heute, wenn wir Leid und Erniedrigung, Verfolgung und Trauer erleben. „Dein Wille geschehe“, beten wir im Vaterunser. Denn wir sind gewiss: Gott sorgt für uns. Über das hinaus (und oft genug an dem vorbei), was wir mit unseren eigenen Kräften hinbekommen, führt der Schöpfer der Welt auch Dein und mein Leben zu einem guten Ziel.
Dieses Ziel wird sichtbar im Tod Jesu Christi am Kreuz. Denn hier stirbt Gott. Er, der die Welt geschaffen hat, geht vor unseren Augen in den Tod. Damit aber verliert der Tod seine Macht, wie der Apostel Paulus im 15. Kapitel des 1. Korintherbriefs bemerkt. Indem er in den Tod hineingeht, zeigt Gott, dass er auch im Tod unser Herr und Gott bleibt. Er bleibt bei uns, selbst wenn wir sterben.
Ja mehr noch: Im verzweifelten Ruf des sterbenden Jesus Christus, „mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Matthäus 27,46), hören wir unseren Gott rufen. Ich beginne zu begreifen: Wenn ich das Gefühl habe, von Gott verlassen zu sein, wenn ich in Not bin und meine Angst mich überwältigt, gerade dann ist und bleibt mein Gott für mich da. Jesu Tod am Kreuz zeigt Dir und mir: Dann, wenn ein Mensch weder ein noch aus weiß, wenn er durch das dunkle Tal von Leid und misslingendem Leben geht, wenn er von Gott nichts spürt, ist Gott doch an seiner Seite. Tatsächlich kann uns nichts, wie Paulus im 8. Kapitel des Römerbriefs feststellt, „scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“.
Weil wir das am Kreuz erkennen, wird Karfreitag von uns zurecht als höchster evangelischer Feiertag begangen. Denn hier, unter dem Kreuz, begreifen wir: Alles, was wichtig ist im Leben, verdanken wir nicht uns selbst, sondern unserem Gott. Er sorgt für uns, auch und gerade dann, wenn wir an unsere Grenzen kommen, wenn wir nichts mehr zuzusetzen haben.
Nach diesen grundlegenden Erfahrungen lädt uns Karsamstag ein, zur Ruhe zu kommen. In Ruhe bedenken wir, was wir in den Tagen des Festes bisher erlebt haben. In Ruhe sinnen wir darüber nach, wie das Abendmahl uns gestärkt hat für unseren Weg. In Ruhe betrachten wir das Kreuz und begreifen das Wunder, dass Gottes Liebe auch den Tod überwindet. „Ich liebe den Karsamstag“, meint ein Freund zu mir. „Nach allem, was vorzubereiten und zu feiern war, ist das ein Tag, an dem ich einfach die Hände in den Schoß legen kann.“ Auch Sie können heute zur Ruhe kommen auf Ihrem Weg durch diese Zeit.
Zugleich wissen wir am Karsamstag schon, was uns erwartet: Ostern, das Fest der Auferstehung unseres Retters und Erlösers Jesus Christus. Für die einen beginnt dieses Fest bereits am Abend. Sie folgen damit der jüdischen Lebensweise, die den Tag mit dem Vorabend beginnt. Für andere wird es Ostern, wenn am frühen Morgen die Sonne aufgeht. Dritten bietet der Festgottesdienst am Ostersonntag Gelegenheit, in den Auferstehungsjubel einzustimmen: „Wir wollen alle fröhlich sein zu dieser österlichen Zeit, denn unser Heil hat Gott bereit´. Halleluja“ (EG 100).
Mit Liedern und Musik, mit brausenden Orgelklängen und fröhlichen Chorälen feiern wir das Fest der Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Treffend lässt Goethe den Faust beschreiben, was hier geschieht: „Aus dem hohlen finstern Tor / Dringt ein buntes Gewimmel hervor. / Jeder sonnt sich heute so gern. / Sie feiern die Auferstehung des Herrn, / Denn sie sind selber auferstanden …“ (Goethe, Werke, Hamburger Ausgabe, Band 3, 918-922).
Der alte Ostergruß, „Der Herr ist auferstanden“ – „Er ist wahrhaftig auferstanden“, gewinnt seine besondere Bedeutung indem wir verstehen: In diese Auferstehung sind wir selbst mit hineingenommen. Ja, wir sind tatsächlich „selber auferstanden“. Wieder bringt Paulus die Dinge auf den Punkt: „Nun aber ist Christus auferweckt von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind. Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden“ (1. Korinther 15,20-22).
Das feiern wir am Ostermorgen: Ein für allemal hat das Leben den Tod besiegt. Jesus Christus, der Auferstandene, kommt auch Dir und mir am Ostermorgen entgegen. Die frohe Botschaft von seiner Auferstehung von den Toten gilt uns allen. Ganz gleich, wer Sie sind und wie stark oder schwach Ihr Gottvertrauen auch sein mag, darauf können Sie sich verlassen: „Jesus Christus hat dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium“ (2. Timotheus 1,10).
In diesem Vertrauen, von Gottes Liebe umgeben, setzen wir den Weg unseres Lebens fort. Wir sind gewiss, Jesus Christus geht mit uns. Ganz gleich, wohin uns unsere Wege führen, ganz egal, wie wir sie gestalten, auf seinen Namen sind wir getauft. Deshalb erwarten wir „die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt“ (Nicaenum).
In diesem Sinne gilt: Der Weg geht weiter – frohe Ostern!